Ich möchte in einem Land leben, in dem alle Menschen und alle Kinder die gleichen Rechte haben. Offensichtlich ist das nicht der Fall. Deshalb heute, passend zum Valentinstag ausnahmsweise ein politischer Artikel. Hat aber auch mit Weltverbesserung und Finanzen zu tun. Neugierig?

Seit dem 1. Oktober 2017 ist es offiziell: In Deutschland gibt es die Ehe für Alle, im Bürgerlichen Gesetzbuch steht dazu, dass die Ehe von “zwei Personen verschiedenen oder gleichen Geschlechts auf Lebenszeit geschlossen” wird. Ein hart erkämpfter Erfolg für Menschen die in gleichgeschlechtlichen Beziehungen leben.
Und damit sollte alles gut sein, in Deutschland. Männer und Frauen dürfen heiraten, Frauen und Frauen dürfen heiraten, Männer und Männer dürfen heiraten. Alle sind gleich.
Stimmt’s? Stimmt nicht. 🌈
Die Rechtslage für verheiratete Frauen
Denn verheiratete lesbische Paare, die gemeinsam Kinder bekommen, werden aufgrund der aktuellen Gesetzeslage massiv diskriminiert.
Wenn zwei Frauen in ihrer Ehe ein gemeinsames Kind bekommen, wird nur die Mutter, die das Kind zur Welt bringt, als Mutter in die Geburtsurkunde eingetragen. Perfiderweise gilt sie, obwohl sie verheiratet ist, als alleinerziehend. Die zweite Mutter muss ihr Kind im Rahmen einer Stiefkindadoption adoptieren.
Männer haben dieses Problem nicht. Denn bei einem heterosexuellen, verheiraten Paar werden Vater und Mutter ganz automatisch als Eltern eingetragen, auch wenn sie nicht die leiblichen Eltern sind. Die biologische Abstammung des in der Ehe geborenen Kindes (Samenspende, Seitensprung etc.) spielt dabei für den Gesetzgeber überhaupt keine Rolle.
Was genau ist eine Stiefkindadoption?
Die Stiefkindadoption findet eigentlich statt, wenn ein Partner in eine neue Ehe Kinder mitbringt, die Kinder also schon zwei Elternteile haben und der neue Partner diese dann adoptieren möchte.
Das ist ein anstrengender und langwieriger Prozess. Denn dabei ist oft noch ein leibliches Elternteil aus der ersten Ehe mit im Spiel. Die rechtliche Beziehung des Kindes zu seinem noch lebenden und oft biologischen Elternteil und dessen Verwandten erlischt im Rahmen der Stiefkindadoption vollständig. Das umfasst natürlich auch Unterhalts- und Erbansprüche.
Die Situation ist in einer lesbischen Ehe natürlich eine völlig andere. Das Baby kommt auf die Welt und hat sofort zwei Mütter. Aus Verlegenheit und mangels aktueller Gesetze greift der Staat dennoch auf den belastenden und teuren Prozess der Stiefkindadoption zurück. Das ist für die Mütter belastend und schlimmer: Das Baby hat, obwohl seine Mama verheiratet ist, rechtlich nur einen Elternteil.
Welche formalen Vorraussetzungen gelten für die Stiefkindadoption?
- Der adoptierende Ehepartner muss mindestens 21 Jahre alt sein1
- Das Kind muss, abhängig vom Alter, bereits eine gewisse Zeit bei dem Annehmenden in Pflege sein. 2
- Der Adoptierende muss mit dem leiblichen Elternteil des Kindes verheiratet sein. 3
- Diese Ehe sollte mindestens seit einem Jahr bestehen. 4
Nur zur Erinnerung: Welche Vorraussetzungen muss ein verheirateter, heterosexueller Mann erfüllen, um als Vater eines Kindes anerkannt zu werden?
- Er muss mit der Mutter des Kindes verheiratet sein5
Wie läuft eine Stiefkindadoption ab?
Die Adoption muss von einem Familiengericht ausgesprochen und notariell beurkundet werden6. Dazu muss ein Antrag beim Familienrecht eingereicht werden.
Dieser Antrag umfasst eine ordentliche Mappe an Unterlagen:
- Auszug aus dem Geburtenregister
- Eheurkunde
- Gegebenenfalls Scheidungsurkunde
- Ärztliches Attest
- Im Bedarfsfall zusätzlich ein fachärztliches Gutachten
- Erweitertes Polizeiliches Führungszeugnis
- Aufenthaltsbescheinigung aller Beteiligten
- Einkommensbescheinigung 8
Das Familiengericht bittet dann das Jugendamt um ein Gutachten, dass die Eignung des Adoptivelternteils überprüft. Dies geschieht im Rahmen einer mehrmonatigen Überprüfung, die Folgendes umfasst:
- Einzelgespräche
- Hausbesuch
- Fragebogen der Adoptionsvermittlungsstelle
- Lebensberichte
- Anfrage beim Jugendamt
- Stellungnahme des leiblichen Elternteils, der seine Rechte und Pflichten abgibt 9
Im besten Fall dauert das gesamte Verfahren sechs bis zwölf Monate. Während dieser Zeit, einer prägenden und anstrengenden Phase für alle jungen Eltern, sind lesbische Mütter also zusätzlich mit Hausbesuchen vom Jugendamt, gesundheitlichen Gutachten und dem Verfassen von Berichten über ihr gesamtes Leben, wie zum Beispiel ihre eigene Beziehung zu ihren Eltern, belastet. Erst nach einem Jahr, oft auch länger, sind endlich beide Ehefrauen als Mütter des Kindes anerkannt. Und erst dann ist auch das Baby endlich vollständig rechtlich und finanziell abgesichert.
Wie ist die Lage für heterosexuelle Paare?
In der Ehe
Wenn ein Mann und eine Frau miteinander verheiratet sind, ist der Ehemann automatisch der Vater des Kindes. 10
Das ist auch so, wenn er nicht der leibliche Vater des Kindes ist. Egal ob Spermaspende, Embryonenspende oder Seitensprung, Vater ist in den Augen des Staates zunächst der Ehemann der Mutter. Damit ist er sorgerechts- und unterhaltspflichtig und das Kind ist rechtlich und finanziell abgesichert.
Ohne Ehe
Auch wenn ein Mann und eine Frau nicht miteinander verheiratet sind, kann der Vater des Kindes das Kind, mit der Zustimmung der Mutter, anerkennen. Dies kann er beim Jugendamt, beim Notar, beim Standesamt oder beim Amtsgericht tun. Eine weitere Prüfung oder gar eine für alle beteiligenden belastende und teure Stiefkindadoption findet selbst in dieser Situation nicht statt. Damit ist er sorgerechts- und unterhaltspflichtig und das Kind ist ebenfalls rechtlich und finanziell abgesichert. 11
Eine Ehe zweiter Klasse
Benachteiligung von homosexuellen Paaren
Verheiratete lesbische Ehefrauen können von so einer Regelung nur träumen! Sie müssen sich durch ein monatelanges, kostenintensives Verfahren quälen, ihr Einkommen, ihre Kindheit, ihre Beziehung zu ihren Eltern und ihren gesundheitlichen Zustand offenlegen.
Ein zusätzlicher Perversion: Das in der Ehe geborene Kind darf sogar den Namen der Frau führen, die der Gesetzgeber erst nach einer Stiefkindadoption als Mutter anerkennt, wenn dies der Familienname ist.
Außerdem darf die Ehefrau der Mutter Elternzeit beantragen.
Nach außen hin sieht also alles wunderbar gleichberechtigt aus. Faktisch ist es das aber nicht.
Denn in einem der allerwichtigsten Bereiche des Rechts, dem Abstammungsrecht, hinkt der Staat massiv hinterher. Die zweite Mama ist für das Kind nicht sorgeberechtigt. Sie wird gegenüber einem verheirateten Mann diskriminiert.
Ein Kind zweiter Klasse
Eine Rechtslücke mit Nachteil für das Kindeswohl
Eigentlich soll die Stiefkindadoption dem Wohl des Kindes dienen. Aber diese Benachteiligung einer legalen Ehe zwischen zwei Frauen und deren Kindern tut das Gegenteil.
Das Kind ist weder rechtlich noch finanziell doppelt abgesichert – im Gegensatz zu einen Baby, dass in eine Hetero-Ehe hineingeboren wird. Es wird diskriminiert.
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Das alte Spiel: Wissenschaft gegen Ideologie
Konservative Politiker schieben in der Debatte immer wieder eine angebliche Gefährdung des Kindwohls vor. Ausgerechnet Bildungsministerin Anja Karliczek, die im Bundestag übrigens auch gegen die Ehe für alle stimmte, fand, dass es “eine spannende Forschungsfrage” sei, “ob sich etwas verändert”. 12
Dabei fällt sie mit einer sagenhaften Unkenntnis über die internationale Studienlage auf, denn renommierte Institutionen wie die American Pedriatrics Association haben schon längst in longitudinalen Langzeitstudien erforscht, dass Kinder, die bei lesbischen Müttern aufwachsen, in allen Bereichen gleich gut und zum Teil sogar besser als die Kinder heterosexueller Eltern abschneiden. 13
Die CDU-Vorsitzende AKK ging in einem Interview sogar soweit, die Ehe für alle mit Polygamie und Inzest gleichzusetzen und zu betonen, dass es “nicht um die Rechte der Eltern, sondern um das Wohl der Kinder gehe”. 14. Dabei ist es offensichtlich, dass das Wohl eines Kindes vor allem dadurch eingeschränkt ist, dass es rechtlich nur zur Hälfte abgesichert ist.
Insbesondere katholische Fundamentalisten*innen und Wissenschaftsleugner*innen in AFD und CDU/CSU sind selbst im Jahr 2020 – gegen alle durchgeführten Studien zum Kindeswohl – der festen Überzeugung, ein Aufwachsen in Regenbogenfamilien schade den Kindern. Dafür gibt es keinerlei Belege. Das ist blanke, reaktionäre Ideologie.
Familienleben in der Gesetzeslücke
Die betroffenen Familien leiden bereits heute unter der diskriminierenden und für die Kinder gefährlichen Gesetzeslage.
Die Mutter, die das Kind zur Welt bringt, muss eine Vollmacht über das so genannte “kleine Sorgerecht” ausstellen, dass es ihrer Ehefrau wenigstens erlaubt, die “Entscheidungen des täglichen Lebens” für das gemeinsame Kind zu treffen. Entscheidungen, die ein Verheirateter heterosexuellen Mann ganz ohne Überprüfung durch das Jugendamt einfach treffen darf. Dies umfasst zum Beispiel Entscheidungen zur Fütterung oder das Abholen aus der Kita.
Aus der Erbfolge der Mutter, die das Kind nicht zur Welt gebracht hat, ist das Kind bis zum Ende der Adoption ausgeschlossen.
Und falls der Mutter bei der Geburt etwas geschieht, ist das Sorgerecht für das Kind völlig ungeklärt. Ein Kind, das in eine Ehe hinein geboren wurde, das eigentlich zwei Elternteile hat, steht dann als Vollwaise da.
Die Mutter, die sich für dieses Kind entschieden hat, die Mutter, die bei jeder Ulatrschulluntersuchung dabei war, die Mutter, die Elternzeit genommen hat, die Mutter, deren Namen das Kind trägt, die Mutter, die die Vor- und Nachteile etlicher Kinderwagen verglichen hat, die Mutter, die das Kinderzimmer gestrichen hat, die Mutter, die mit ihrer Ehefrau gemeinsam ein Kind bekommt, hat keinerlei rechtliche Befugnis über das gemeinsame Kind.
Kinder, die in eine lesbische Ehe geboren werden sind finanziell und rechtlich Kinder zweiter Klasse.
Und noch schlimmer: Das in der Ehe geborene Kind hat nur die halbe rechtliche und nur die halbe finanzielle Absicherung im Vergleich zu einem Kind, dass in eine “normale” Ehe geboren wird. Schließlich zählt die Ehefrau der Mutter bis zum Abschluss der Stiefkindadoption überhaupt nicht als Elternteil.
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Was tut die Regierung gegen die Diskriminierung?
Die damalige Justizministerin Katarina Barley (SPD) legte im März 2019 noch einen Gesetzentwurf vor. Seitdem herrscht politischer Stillstand. Die rechtliche Lage ist absolut in der Schwebe.
Eine Klage hat der Bundesgerichtshof wegen der fehlenden gesetzlichen Bestimmungen bereits abgelehnt, nun wehren sich die beiden Mütter Verena Ackermann und Gesa Teichert-Ackermann gegen die Benachteiligung und sind dabei bereit, alle gerichtlichen Instanzen bis zum Bundesverfassungsgericht und dem europäischen Gerichtshof zu durchlaufen. 15
“Diese Rechtslage ist diskriminierend. Sie beeinträchtigt die Betroffenen massiv in ihrem Familienleben und entspricht nicht dem Kindeswohl“, urteilt auch Prof. Dr. Maria Wersig, Präsidentin des Deutschen Juristinnenbunds e.V.16
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Was passiert mit den Familien nach der Reform des Adoptivrechts?
Gestern, am 13. Februar 2020, hat der Bundestag eine Veränderung des Adoptionsrechts beschlossen. Diese war nötig, weil das Bundesverfassungsgericht Nachbesserungen für Kinder unverheirateter Eltern verlangt hatte. Betroffene mussten auch dafür ihr Recht auf Gleichbehandlung einklagen – freiwillig hätte die Groko wohl auch hier nicht gehandelt.
Die beschlossene Änderung des Adoptionsrechts verschärft die Situation für Regenbogenfamilien ab dem 1. Juli 2020 noch zusätzlich. Denn die beschlossene Änderung des Adoptionsrechts umfasst nun auch verpflichtende Beratungen der zweiten Mama, ähnlich wie vor Abtreibungen. Und auch der Säugling soll beraten werden. Wie das geht? Das weiß nur die Groko. Außerdem drohen ab dem 1. Juli 2020 noch längere Wartezeiten. 17. Die Kinder sind dann also noch länger finanziell und rechtlich benachteiligt.
Dabei legten die Grünen einen Gesetzentwurf vor, der diese Diskriminierung beendet und lesbische Mütter vor dem Gesetz gleich gestellt hätte. Die Fraktionen der Union, der SPD, der AfD und der FDP lehnen ihn ab. Einen eignen Gesetzesentwurf zur Gleichstellung lesbischer Mütter, wie ihn etwa die vorausgegangene Justizministerin Barley (SPD) bereit erarbeitet hatte, legte die Große Koalition erneut nicht vor. 18
Schon jetzt sind die Kinder Monate, oft ein Jahr lang, gesetzlich nur zur Hälfte abgesichert und gegenüber den Kindern heterosexueller Eltern aufgrund der Gesetzeslage benachteiligt. Ab Juli 2020 wird alles noch viel schlimmer.
Was kannst du tun um zu helfen?
Der Lesben- und Schwulenverband hat eine Petition an Bundesjustizministerin Lambrecht veröffentlicht, in der er sie auffordert, die Gesetzeslage an das Wohl der Kinder und die Lage der Familien anzupassen. Diese Petition kannst du hier unterschreiben. 💌
Außerdem wäre es toll, wenn du die Petition an so viele Leute wie möglich weiterleitest. Jeder hat ein Recht auf das Aufwachsen in einer Familie. Der Staat muss aufhören Minderheiten zu drangsalieren und zu diskriminieren. Es kann doch nicht sein, dass im Jahr 2020 in Deutschland manche Kinder noch immer mehr wert sind als andere.
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- § 1743 BGB
- § 1744 BGB
- § 1741 BGB
- § 1743 BGB
- § 1592 Satz 1 BGB
- § 1752 BGB
- Landkreis Hersfeld-Rothenburg, Stadt Fulda, Landkreis Fulda: “Adoption eines Stiefkindes: Informationen für Stiefeltern, Mütter und Väter“7Landkreis Hersfeld-Rothenburg, Stadt Fulda, Landkreis Fulda: “Adoption eines Stiefkindes: Informationen für Stiefeltern, Mütter und Väter“
- Landkreis Hersfeld-Rothenburg, Stadt Fulda, Landkreis Fulda: “Adoption eines Stiefkindes: Informationen für Stiefeltern, Mütter und Väter“
- § 1592 Satz 1 BGB
- § 1592 Satz 2 BGB
- Klamroths Konter: “Karliczek für Studie zu Kindern in Homo-Ehen.” 20.11.2018
- US National Longitudinal Lesbian Family Study: Psychological Adjustment of 17-Year-Old Adolescents
- Robin Alexander: „Ich kenne liebevolle homosexuelle Menschen“. Die Welt, 20.06.2015.
- Legal Tribune Online: Zwei Mütter in der Geburtsurkunde? 07.02.2020
- Deutscher Juristinnenbund: “Ohne Umwege: Rechtliche Elternschaft für lesbische Frauen!”
- Lesben- und Schwulenverband: Adoption/ Stiefkindadoption
- Dennis Klein: “Keine Gleichbehandlung von Regenbogenfamilien.” 13.03.2020
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